Ursprünglich gepostet im LarperNing hier.
Die Entwicklung eines Charakters ist keine reine Reaktion auf Ereignisse, die im Spiel passieren. Sie ist auch von etlichen OT-Faktoren abhängig. Darauf hat Toji in einem Beitrag hingewiesen und damit den Vorschlag für die Rubrik „Charakter Spotlight“ gemacht (Klick hier!). Einen Vorschlag, den ich mit diesem Beitrag aufgreife, denn auch bei meinem aktuellen Hauptcharakter Askir von der See waren meine OT-Situation, meine Wünsche, finanziellen Mittel und handwerklichen Möglichkeiten sehr oft entscheidend für den Weg, den der Charakter dann auch im Spiel genommen hat – und sicher noch nehmen wird.
Eigentlich ist der Charakter aus zwei Gründen entstanden. Zum Einen, weil mein bisheriger Hauptcharakter Mathras von Orktrutz sehr unentspannt war. Ein dorlónischer Reichsritter, der für das Gute kämpfte, Truppen kommandierte, immer die Verantwortung übernahm und irgendwann das Pflichtbewusstsein in Person war. Echt anstrengend auf Dauer. Mathras bot einfach nicht mehr die Entspannung, die ich im Larp suchte. Zum Anderen stand das Geburstags-Larp mit Priesterweihe meiner Frau an, wofür ich auch als Wirt agieren wollte – und ein Reichsritter wäre bei der Übernahme des Jobs wohl in gewisse Erklärungsnöte gekommen.
Also entstand der Streuner Askir. Moralisch flexibel, gesellig und ungebunden, lebenslustig und dem Gold nicht abgeneigt. Eigentlich ein Tavernencharakter, der den Plot weitgehenst ignoriert. Der sich nicht engagiert und keine Verantwortung übernimmt (Aye, jede:r, der:die Askir aus dem Blauen Lager kennt darf jetzt mal Lachen). An sich war Askir als das ausgelegt, was man als „Tavernencharakter“ bezeichnete. Einfach Spaß haben und entspannen. Daher habe ich ihn auch recht flexibel angelegt (Universeller Charakter nach DragonSys 3rd), so dass er alle Möglichkeiten hatte sich zu entwickeln. Also mal sehen, wohin ihn der Wind trägt.
Da man einen Charakter erstmal ausprobieren sollte und zu der Zeit das Geld knapp war, startete Askir ganz simpel mit einer günstigen Stoffhose, einem Hemd, einem Schlapphut aus dem Karnevalsbedarf und einem günstig bei Ebay geschossenem Ledermantel (01). Das Konzept ist aufgegangen, ich habe gemerkt, dass man auch ohne heldenhaftem Gebahren Spaß haben kann und daher direkt nach dem Con angefangen die Kleidung zu überarbeiten. Da wir zu dem Zeitpunkt angefangen hatten selber zu nähen war das auch finanziell irgendwie machbar, denn wenn man auf HartzIV ist, sind die Möglichkeiten etwas eingeschränkt. Aber Stoff für eine neue Hose, einen neuen Mantel und einen neuen Schlapphut mit Feder war irgendwie drin (02). Dabei hatte ich mit der Stoffwahl des Mantels echt Glück, denn er ist innerhalb kurzer Zeit schön „gealtert“ (03).
Seit meiner Kindheit ein Fan von Piratengeschichten erhielt Askir übrigens einen Seefahrerhintergrund, auch wenn dieser in den ersten Jahren nur geringe Relevanz im Spiel hatte. Während ich aber für bisherige Charaktere ganze Romane an Hintergründen geschrieben hatte wollte ich es mir bei auch in dieser Hinsicht Askir einfacher machen. Zumal meiner Erfahrung nach eh Niemand Interesse für den Hintergrund eines Charakters hat und man ihn nur an den Mann oder die Frau bringen kann, wenn man Jemanden eine Kassette ins Ohr drückt. Wie das Leben so spielt dauerte es aber nur zwei Cons, bis Jemand Askir nach seiner Herkunft ausfragte. Natürlich: Wenn man einen total ausgearbeiteten Hintergrund hat, fragt kein Aas, aber kaum hast Du Dir darüber kein Gedanken gemacht … Murphy’s Law, befürchte ich. Spontan habe ich dann (als mittelalter DSA-Spieler) „Havena in Aventurien“ geantwortet. An sich ein Glücksfall, denn es gibt viele aventurische Charaktere, die man so auch im allgemeinen Larp trifft, mit denen man direkt eine gemeinsame Basis hat, was im Spiel zu vielen interessanten Begegnungen führt.
Wer kennt es nicht? Eine liebe Person hat eine tolle Idee für ein Großcon, fragt ob man mitmachen möchte und man bastelt sich dann irgendwas zusammen, wieso der Charakter jetzt dahin kommt und mitmacht. Genau das führte dazu, dass sich Askir nur wenige Monate nach seinem ersten Auftritt in einem neuen Hospital im Freien Lager beim Conquest of Mythodea wiederfand. Das war übrigens 2008 und wir hatten tolles Spiel und viele besondere Momente. Das schienen auch Andere zu meinen, weshalb dieses Hospital, bei dem ich auch beim CoM 2009 arbeitete, sogar ein Lehen im Nördlichen Siegel erhielt. Selfiran, falls Jemand das kennen sollte. Die Mitgliedschaft in der Hospitalsgruppe (auch außerhalb des CoM) führte dazu, dass Askir an sich sein Geld als Heiler verdienen könnte. Wenn mir das Heilerspiel wirklich Spaß machen würde. Nach einem stressigen CoM 2009 (von dem auch das Bild 04 ist) habe ich festgestellt, dass das nicht der Fall ist und ich diese Fähigkeiten nur noch im äußersten Notfall im Spiel einsetzen werde. Also wenn noch nicht mal ein Metzger oder ähnlich rudimentär geeignete Charaktere anwesend sein sollten.
BÄMM! Kompletter Kleidungsreset. Weg vom Heiler, zurück zum Streuner im Stil eines Straßenräubers (05). Einfach weil ich OT nicht mehr mit meiner Kleidung zufrieden war. Sie sah nicht aus einem Guß aus. Aber dazu kommt auch, dass sich die finanzielle Situation einfach indessen verbessert hatte. Ich hatte wieder einen Job und konnte mir bessere Stoffe leisten. Dass unsere Nähskills inzwischen auch besser geworden sind, hat natürlich auch geholfen. Da die CoMs für mich mit dem Hospital in Stress ausgeartet waren (vor allem wegen dem Aufbau, dem Schichtdienst im Hospital, etc.), habe ich entschieden was Neues zu probieren. So ging es 2010 auch das erste Mal mit Askir zum Drachenfest, 2011 dann nach Weltenwacht und wieder zum Drachenfest. Wobei meine Motivation nach dem DF 2011 nur gering war wieder zu kommen, denn trotz einige epischer Momente (wie dem Spalier für den Blauen Avatar vor dem Tor) hatte ich das Gefühl, dass die großen Crews Alles unter sich aufgeteilt hatten und man keine Chance hatte ins Spiel zu kommen.
Ich habe mich dennoch wieder angemeldet, aber Leben ist oft das, was passiert, während man andere Pläne macht. 2012 habe ich fast alle Larps abgesagt, denn im Job war (auch auf Grund von nicht existentiem Zeitmanagement) so viel los, dass ich fast jedes Wochenende im Büro verbrachte. Ich war auch kopfologisch gar nicht mehr in der Lage mich aufs Larp einzulassen, was dann auch im November 2012 in einem Burnout gipfelte. Erst während meines Klinikaufenthaltes habe ich langsam wieder begonnen Lust auf Larp zu verspüren, so dass ich 2013 wieder auf einige Cons ging. Aber alles kleine Cons, bei denen ich die Orga und viele Spieler oft schon seit Jahren kannte. Einfach langsam im „Save Space“ wieder anfangen, umgeben von Freunden. Diesen Einschnitt in meinem OT-Leben hat sich auch in Askirs Entwicklung abgebildet, denn im Laufe des Jahres gründete Askir (aufbauend auf seinen in den letzten Jahren erspielten Besitz und Beziehungen) eine HandelsCompagnie und mit einem dafür erforderlichen Schiff kam langsam auch sein Seefahreraspekt wieder zum tragen.
Askir – zu dem Zeitpunkt übrigens immer noch ohne Nachnamen – wurde ergo ein Händler, was sich auch in der neuen Kleidung (06) niederschlug. In der Phase, mich aus meinem Loch heraus zu arbeiten, bot mir Askir als Händler einfach auch die Möglichkeit eines entspannten Spiels, was ich damals einfach gebraucht habe. Alltagssorgen hatte ich genug, da musste ich mich nicht im Spiel noch damit abmühen, woher der Charakter jetzt Geld bekommt und solche Dinge. 2014 ging es dann auch wieder zum „Zeit der Legenden“, wo ich den Untergang von Weltenwacht miterleben durfte und grandiose Szenen mit „meinen“ Nebelstädtern hatte, und zum Drachenfest, wo ich eher zufällig einen Diplomatenposten übernahm. Das war auf jeden Fall eine der großen IT-Wendungen im Leben meines Charakters.
Es war wieder Zeit für eine Änderung in der Kleidung. Ein Grund war, dass sich Askir jetzt stärker mit dem Blauen Lager identifizierte und auch der Seefahrer-Aspekt endlich stärker zum tragen kam und damit Blau als Farbe opportun erschien. Aber besonders für neue Westen gab es vor Allem einen anderen Grund: Ich gehöre zu den Menschen, die der Ansicht sind, dass Temperaturen über 24°C totaler Quatsch sind und echt Niemand braucht. Perfektes Larpwetter sind für mich 21°C, leicht bewölkt, trocken und leichter Wind. Dementsprechend schwitze ich auch ungern und schnell. Unter diesen Umständen waren Westen aus Wolle gerade für Sommerveranstaltungen wie dem Drachenfest nicht die beste Wahl – um es verhalten auszudrücken. Da musste ich unbedingt Abhilfe schaffen. Warum ich dann aber für die blaue Kleidung (07) den Schultermantel wieder aus Wolle gemacht habe erschließt sich mir im Rückblick irgendwie nicht. Seit 2015 gibt es ergo Askir in Blau.
2016 war irgendwie wieder so ein Jahr des Stillstandes. Nur sehr wenige Cons besucht, mit Askir war ich nur auf dem Drachenfest. Geschuldet war das auch hier wieder einem OT-Grund: meinem zweiten Burnout im Februar des Jahres. Danach hatte ich logischerweise erstmal genug im realen Leben zu tun. Doch 2017 ging es wieder bergauf, was sich auch in der Anzahl der besuchten Larp-Veranstaltungen (elf Cons) als auch meiner Aktivitäten für Askir wiederspiegelte. Schon beim DF2011 habe ich im Blauen Lager Jemanden mit einem Stehkragen gesehen und mir gesagt: Sowas will ich auch. Jetzt war die Zeit gekommen und Askir bekam seine Westen mit Stehkragen (08). Wobei einem natürlich Niemand sagt, dass sich gerade bei hohen Temperaturen zwischen Kragen und Nacken eine eigene Klimazone bildet – so stelle ich mir Death Valley vor. Im Sommer veröffentlichte ich das „Kompendium der Seemannschaft“ und auf dem Drachenfest übernahm ich den Posten des Hochdiplomaten des Blauen Lagers.
Abseits vom Drachenfest und dem Blauen Lager war Askir jedoch auch bisher ein Tavernencharakter geblieben und war an Plots faktisch nicht beteiligt. Auch wenn ich gerne in der Taverne gemütlich meinen Portwein trinke habe ich gemerkt, dass mir das nicht mehr ausreicht. Dass ich auch auf anderen Cons als dem DF wieder aktiv sein möchte. Mehr Action bitte. Aus diesem OT-Wunsch gab es die nächsten Veränderungen. So ist Askir seit Ende 2017 kein Einzelgänger mehr, sondern hat mit seinem Schiff, der „Kraken“ natürlich jetzt auch eine Crew. Damit sitzt er seit 2018, jetzt endlich auch mit einem Seefahrermantel (09), im Blauen Lager am Captains Table, dessen Sprecher er dann 2019 wurde. Doch diese Transformation ist ein Prozess, der aktuell noch andauert. Auch, weil es sich bei Cons abseits des DF-Hintergrundes bzw. der DF-Blase als schwieriger herausstellt, als ich gedacht habe (und vermutlich einen weiteren Blogbeitrag wert ist). Aber ich habe einfach OT Lust auf neue Dinge und die werde ich, wenn es wieder möglich ist, mit Askir umsetzen.
Ich bin gespannt, wohin mich mein Weg noch führt – und damit auch welchen Kurs Askir in den nächsten Jahren steuern wird*.
Während ich diesen Text geschrieben habe ist mir, auch weil ich mal die Entwicklung des Charakters (immer wieder sichtbar an der Veränderung seiner Kleidung) in zeitlichem Bezug zu meinem realen Leben gesetzt habe, aufgefallen, wie stark meine eigenen Lebensverhältnisse und mein Seelenleben doch immer wieder Einfluss auf „mein Larp“ und meinen Charakter genommen haben und ganz sicher weiterhin nehmen werden. Dieses Spotllight ist damit nicht nur rein auf den Charakter gerichtet, sondern auch irgendwie eine Reise in die eigene Vergangenheit. Aye, es hat auch was von einem Seelenstriptease. Interessant und erschreckend zugleich.
Das Bild in größerer Auflösung findest Du hier: http://www.swashbuckler.style/wp-content/uploads/2018/05/2020-12-30_Askir_Zeitenwandel_2008-2019-scaled.jpg
Mehr Fotos von Askirs Entwicklung findet sich zudem hier: http://www.swashbuckler.style/die-kraken/der-unvergleichliche-askir/
*Am nächsten Kleidungs-Update konzeptiere ich ja auch schon: hier.
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